Sich Erinnern, Sich Begegnen

Das Blutgesetz – Denken und Handeln als Nazi – Veranstaltung „Mardi du Cercil“, 12.10.2015

Johann Chapoutot

Anlässlich des 100. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern fand eine Konferenz zu dem Thema „Der Völkermord an den Armeniern, eine Geschichte des Widerstands“ für die Schüler und Lehrer des Descartes-Gymnasiums in Tours statt. Raymond Kévorkian, französischer Historiker, ©TDR B.Yann In den Jahren 1915 und 1916 wurden zwei Drittel der im Osmanischen Reich lebenden Armenier (ca. 1,3 Millionen Menschen) durch Massaker getötet. Hinzu kamen weitere 200000 Personen in den Grenzgebieten zu Kaukasien und in Persien, weil sie Armenier waren. Dieser Massenmord wurde durch das Jungtürken-Regime beschlossen und geplant, das damals die osmanische Regierung kontrollierte. Der französische Historiker Raymond Kévorkian ging auf die Radikalisierung der Staatspartei ein, die zur Durchführung dieses Völkermordes führte, und sprach über Hintergründe der fortwährenden Leugnung dieser Ereignisse seitens eine Reihe türkischer Regierungen, wodurch heute noch die geschichtliche Aufarbeitung und das Gedenken verhindert werden. Diese Konferenz wurde durch das CERCIL (Museum und Gedenkstätte für die Kinder des Wintervelodroms) in Partnerschaft mit der Union des Arméniens du Centre, der Region Centre-Val de Loire, dem Land Sachsen-Anhalt und dem Descartes-Gymnasium aus Tours durchgeführt.

 

  1. Castagnez stellt die Arbeit von J. Chapoutot vor und weist zwei oft in Bezug auf die Nazis vorgebrachte „Erklärungen“ zurück: der Wahnsinn ihres Führers, der deutsche Sonderweg. Biografische und bibliografische Angaben: http://www.ihtp.cnrs.fr/spip.php%3Farticle1507.html

 

  1. Chapoutot verfolgt das Ziel, das geistige Universum der Nazis zu beschreiben, das sich weder auf die Begriffe „Wahnsinn“ oder „reiner Sadismus“ noch auf „germanische Barbarei“ reduzieren lässt. Vgl. Christian Ingrao: http://www.ihtp.cnrs.fr/spip.php%3Farticle751.html.

 

  1. Chapoutot stützt sich auf eine gewaltige Anzahl von Quellen, darunter die (juristischen, wissenschaftlichen) Standarddokumente der Nazis. Daraus leitet er drei Prinzipien für das Blutgesetz ab:

=> Zeugung: Gewährleistung der Reinrassigkeit; Zeugung in entsprechender Anzahl und Qualität

=> Kampf: Rettung des deutschen Volkes, das sie von allen Seiten angegriffen sehen

=> Herrschaft: Gewährleistung der Herrschaft der Deutschen über Europa, was J. Chapoutot als Rassendystopie (oder Anti-Utopie) bezeichnet.

 

  1. Chapoutot stellt seinem Beitrag ein Vorwort voran. Er erinnert daran, dass Geschichte eine Humanwissenschaft ist, dass es darum geht zu verstehen, sich der Wahrheit zu nähern und nicht zu urteilen (vgl. Marc Bloch, Apologie pour l’histoire ou Métier d’historien [Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers]). Verstehen zum Beispiel, wie man an die Macht der „wundertätigen Könige“ glauben konnte, und wann man aufhörte, daran zu glauben. In seiner Studie über die Nazis versucht J. Chapoutot deren geistiges Universum zu definieren, um jene zu verstehen, die Marc Bloch verhaftet und ermordet haben.

 

 

Man muss immer daran denken, dass diese Henker menschliche Wesen waren. Die einzelnen Merkmale, die nach nationalsozialistischer Ansicht die Deutschen (die deutsche Kultur) definieren, sind in den meisten Fällen nichts Außergewöhnliches. Es sind Merkmale, die seit dem Ende des 19. Jahrhundert zur westlichen Kultur gehören (Rassismus, Antisemitismus, Eugenismus, Kolonialismus).

 

Ohne die Mithilfe der französischen Gendarmen, der Ustaschen, der baltischen Antisemiten hätten die Verbrechen nicht durchgeführt werden können. Entweder glaubten diese an eine neue Ordnung oder sie erhofften sich materielle Vorteile. Viele der an den Verbrechen beteiligten Personen waren keine Deutschen. Nach dem Krieg setzte sich der Antisemitismus fort. Der Redner erinnert an die Pogrome in Polen in den Jahren 1946, 47 und 49 (vgl. Jan T. Gross, La Peur. L’antisémitisme en Pologne après Auschwitz [Die Angst. Der Antisemitismus in Polen nach Auschwitz], Calmann-Lévy). In Südafrika gelangte ein profaschistisches Regime an die Macht.

 

Es geht also darum zu verstehen, wie Menschen dies anderen Menschen antun konnten.

 

Quellen: Das Arbeitsfeld des Historikers. Er hat 100 000 Seiten juristischer Quellen, SS-Zeitschriften, Filme u. a. über zehn Jahre ausgewertet. Dies gestattet die NS-Vision der Geschichte zu rekonstruieren und zu erkennen, was die Nazis sich für die Gegenwart und Zukunft vorgenommen hatten. Es ist eine Schreckensvision der Geschichte.

 

Diese Quellen zeigen die Vielschichtigkeit der NS-Normen: juristische, moralische Normen, von Ärzten, Juristen formuliert, ab 1933 im Nationalsozialismus komplett integriert, ebenso wie viele Historiker. Diese Normen sind sehr konkret, zum Beispiel auf dem Gebiet der Biologie: Wie sind Kinder zu zeugen, wie ist der Körper, wie sind Babys zu pflegen.

 

Aber waren diese Normen bekannt? J. Chapoutot zeigt ihre Verbreitung durch die Presse, das Bildungswesen, Freizeitangebote, wie das Kino. Er nennt einen Spielfilm von 1941, „Ich klage an“: 8 Millionen Zuschauer. Die Hauptfigur ist ein Arzt, der seine kranke Ehefrau tötet. Damit schenkt er ihr ein barmherziges Ende und befreit die Volksgemeinschaft von einem „Ballast“. Dann noch einen Dokumentarfilm: „Alles Leben ist Kampf“ (sowohl für die Menschen wie auch für die Tiere, das ist ein Naturgesetz), der ab 1937 in den Schulen gezeigt wurde. Damit wurden die Ideen des Sozialdarwinismus verbreitet.

 

=> Aus diesen Quellen lassen sich drei Richtungen, Prinzipien, NS-Grundsätze, drei Lebensabschnitte eines einzelnen Menschen entsprechend der NS-Rassenlehre ableiten:

 

Zeugung: die Zeit des Ursprungs der Rasse, Kampf: die Zeit der geschichtlichen Entwicklung, Herrschaft: nach der geschichtlichen Entwicklung, die Befreiung durch die Herrschaft. Die Nazis verfälschen die Geschichte. Sie sind Kreationisten und behaupten, dass es Arten von Menschen gibt, die sich nicht verändern. Juden und Germanen kämpfen seit 6000 Jahren gegeneinander… Die Geschichte wird als Leidensweg des germanischen Volkes dargestellt. Die Nazis machen Versprechen, bezirzen: „Wir wissen, warum ihr unglücklich seid. Wir werden euch da raus holen.“ Die NS-Ideologie beinhaltet eine eschatologische Dimension. Sie wollen die Deutschen von ihrer Geschichte befreien. „Reich“ ist ein polysemantischer Begriff: Staat, Imperium, Ära. Das Tausendjährige Reich ist nicht nur ein Slogan, es ist ein Programm.

 

Zeugung: Die eugenistischen Ideen sind nicht neu. Sie sind nach dem Ersten Weltkrieg überall in Europa präsent, auch in Frankreich (siehe die unter Daladier verabschiedeten Gesetze). Man muss die richtige Quantität und Qualität „produzieren“, und dazu ist eine staatliche Überwachung erforderlich. Der Eugenismus betrachtet die menschlichen Rassen wie tierische Rassen. Sie sind untereinander nicht fortpflanzungsfähig, aber eine Vermischung zwischen weiß und schwarz ist möglich und führt zur Schaffung eines Monsters, eines Geisteskranken. Ebenso ist die Rassentheorie nicht nur eine nationalsozialistische Erfindung. Überall in Europa entstehen Lehrstühle für Rassenkunde. Die Nazis sind das Produkt ihrer Epoche. Der Erste Weltkrieg hat eine schwere Traumatisierung hinterlassen: 2,5 Millionen Tote, 1,8 Millionen Soldaten und 600 bis 700 000 zivile Opfer, die durch die auf das Embargo zurückzuführende Hungersnot und die Spanische Grippe gestorben sind. Jede Familie war davon betroffen. Dies nährt einen Verschwörungsverdacht: „Man wollte uns biologisch ausrotten.“ Die Nazis profitieren von dieser Traumatisierung.

 

Für sie muss sich der Staat um den Schutz der Rasse kümmern, indem er Normen für die Zeugung festlegt: Wie? Mit wem? Warum? Ab 1933 gibt es eine ganze Reihe von Gesetzen, mit denen die Rassenvermischung verhindert werden soll. Das Produkt einer solchen Vermischung ist für die Nazis immer ein Monster, z. B die „Bastarde vom Rhein“: Kinder deutscher Frauen und Soldaten der Kolonialtruppen nach der Besetzung des Ruhrgebiets. Diese Kinder sind eine Mischung aus zwei Rassen und haben deshalb zwei Persönlichkeiten, wodurch es für die Nazis zur Schizophrenie kommt. Sie werden 1937 auf chemischen Weg kastriert.

 

Die schlimmste Mischung ist jene zwischen Juden und Germanen. Der Ausrottungswahn richtet sich vor allem auf diese Personen („tötet sie, sobald ihr sie seht“), ab 1939 in Polen und 1941 in der UdSSR. Dschingis Khan, mit roten Haaren und blauen Augen, ist eines dieser Monster, eine Mischung aus Jude und Germane. Er hat die Kraft eines Germanen, aber auch den Zerstörungswahn eines Juden. Um die Degeneration zu bekämpfen, muss die Zeugung zwischen Paaren erfolgen. Die Nazis verbannen die Homosexualität als Naturgesetz, aber nur für die Germanen (die Homosexualität von Abel Bonnard stört sie nicht).

 

Um ihre Zeugungspflicht in entsprechender Menge zu erfüllen, muss die Frau zu Hause bleiben. Sie wird aus dem öffentlichen Raum verwiesen. Aber als 18 Millionen Männer unter Waffen stehen, werden die Frauen wieder zur Arbeit geschickt. Komischerweise war dies ein wichtiger Faktor für die weibliche Emanzipation (erst die CDU unter Adenauer wies die Frau wieder an den Herd zurück). Nach Hitlers Meinung ist die Emanzipation der Frauen eine Erfindung der Juden, denn dadurch wird die Volksgemeinschaft zerstört. Die Frauen sind da, um zu gebären. Ihr Schlachtfeld ist der Entbindungsstuhl.

Die Nazis lehnen die aus der französischen Revolution hervorgegangenen liberalen Rechte ab (Ablehnung eines universalistischen Rechts). Sie haben eine differenzialistische Konzeption der Menschheit. Die Individuen sind nicht gleich, ihnen ist ein Platz durch ihre Art zugewiesen. Man muss bis zu den Ursprüngen zurückgehen, bis zu den Germanen, bis vor den Beginn des Judentums und des Christentums (der Jude Saulus wurde zum Heiligen Paulus). Die Evangelisierung erfolgte gewaltsam und brachte neue Normen mit sich, die jenen der nordischen Rasse widersprachen (Monogamie, Kleidung und Keuschheit, Sündenbegriff). Dies hatte das Ende der natürlichen Unschuld zur Folge. Aber auch dies waren keine neuen Ideen. Sie waren im Österreich des 19. Jahrhunderts schon sehr präsent. In den Jahren 1944/45 wollten die Nazis die germanische Polygamie als Antwort auf das kriegsbedingte Blutvergießen wiederherstellen.

 

Kampf: „Alles Leben ist Kampf“, dieser Spruch ist nicht besonders originell. Im Europa des 19. Jahrhunderts ist er eher banal. Er stellt die Vulgata des Sozialdarwinismus dar, wobei Darwin deutlich unterstrichen hat, dass sich dies nicht auf den Menschen bezieht, der in einer Welt der Empathie lebt, die es zwischen Hyäne und Antilope nicht gibt. Unter den Bedingungen der Kolonisierung ist davon jedoch nicht die Rede. Die Nazis sind Sozialdarwinisten: man muss das Naturgesetz respektieren. Man darf jenen, die weniger haben, nichts geben und muss das Gesetz des Stärkeren einhalten. J. Chapoutot weist auf zwei Punkte hin, die von der üblichen Lehrmeinung abweichen. Die Nazis wollen keinen neuen Menschen schaffen, sondern zu einem früheren Menschen zurückkehren. Sie sind gegen den Staat, denn der Staat ist statisch, aber Leben bedeutet Bewegung. Sie wollen die Normen abschaffen, die vom Staat verordneten Fesseln lösen. Das endgültige Ziel besteht darin, den Staat zugunsten der als leistungsfähiger beurteilten Einrichtungen zu zerstören. Damit legen sie die Grundlagen für das, was heute als Management bezeichnet wird. So sollte man auch die Normen abschaffen, die im Zivil- und Strafrecht definiert sind. Man sollte sich nicht von einem Richtern behindern lassen. „Gebt der Polizei freie Hand!“ So entsteht ein Polizeiimperium ohne Kontrolle durch die Justiz. Kodexe und Normen werden als jüdische Erfindungen betrachtet. Auf dem Gebiet der Außenpolitik sollte man das Völkerrecht abschaffen, und alles, was seit 1648 erfunden wurde. Vergessen sollte man auch das Kriegsrecht, die Rechte der Völker, die Genfer Konvention, außer vielleicht für die Franzosen oder die Belgier, aber nicht für Slawen, Serben und Juden. Es wäre ein Vergehen gegen die eigene Rasse, wenn man ihnen diese Normen zugestehen würde. Für H. Franck, einem der größten nationalsozialistischen Juristen, gilt als Recht, was dem deutschen Volk dienlich ist. Die Truppen können demnach mit absolut ruhigem Gewissen operieren. Sie sind überzeugt, dass sie sich absolut legitim verteidigen. Im Frühling und Sommer 1944 finden in Frankreich die Massaker in Tulle, Oradour und Maillé statt. Hier wird eine Politik der verbrannten Erde praktiziert, die darauf abzielt, den Terrorismus auszutrocknen. Die Massaker werden von Truppen verübt, die von der Ostfront kommen. In der UdSSR gab es 5000 „Oradours“, in Griechenland 500.

 

Herrschaft: Wie die Volksfront in Frankreich haben auch die Nazis ihre Versprechen gehalten: bezahlter Urlaub, Volksempfänger, Kreuzfahrten, Musik in der Fabrik – alles dank KdF (Kraft durch Freude: Freizeitgestaltung unter Kontrolle der Nazis). Sie haben die Deutschen stolz darauf gemacht, dass Deutschland wieder zu einem großen Land geworden war. Ein Versprechen haben die Nazis nicht eingehalten: die Befreiung, das Heraustreten aus der Geschichte, die Beendigung der Vergangenheit auf friedlichem Wege. Die Utopie erlebt den Beginn ihrer konkreten Umsetzung im Osten. Mehrere Einrichtungen werden mit der Ausarbeitung des Generalplans Ost beauftragt. Nach dem militärischen Sieg bis zum Ural und der ethnischen Säuberung sollen germanische Soldatenbauern die Landwirtschaft in Schwung bringen. Alles ist bis in die kleinsten Details geplant: Autobahn Berlin-Moskau, Hochgeschwindigkeitszug, Normen für die Schienenbreite, Bodenrecht, Neuordnung der Felder, Steuerrecht, Steuerfreiheit für Familien mit mehr als vier Kindern, die zu Eigentümern des Bodens werden, den sie bewirtschaften (unter der Bedingung, dass sie weiter hohe Leistungen bringen). Das Ziel besteht darin, einen Bevölkerungszuwachs von 80 auf 250 Millionen Germanen, dann auf 600 Millionen innerhalb von 250 Jahren und schließlich auf vier Milliarden innerhalb von 400 Jahren zu erreichen. Dieser Plan widerspiegelt die Synergie zwischen der technokratischen Supermodernität und dem jahrtausendealten religiösen Archaismus. 1941 wird in Berlin ein Modelldorf für diese neuen Kolonialherren ausgestellt. An alles ist gedacht – Zäune, Gärten und sogar die integrierte Küche. Der Osten ist der konkrete Ort der Eschatologie, hier soll sich die Rasse auf der Erde verewigen.

 

Fragen aus dem Saal:

 

Wann sehen Sie die Entstehung dieses Ideals?

Alles ist da seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese Ideen konkretisierten sich zu einem ersten Zeitpunkt, der Krise der Jahre 1880 – 1890. Hinzu kommt die Angst vor der demografischen Überschwemmung durch die Flüchtlingsströme nach den Pogromen in Russland. Ein zweiter Zeitpunkt ist die Traumatisierung in Verbindung mit dem 1. Weltkrieg, dem Versailler Vertrag und dem Verlust der Kolonien. Ein dritter Zeitpunkt ist die Krise der 20er Jahre. Der Nazismus erscheint dann wie ein Rettungsanker nach dem 1. Weltkrieg.

 

Welchen Bezug haben die Nazis zum liberalen Kapitalismus?

Zu Beginn wird der liberale Kapitalismus nicht gut angenommen. Die Industrialisierung war neueren Datums in Deutschland und musste geschützt werden. Sie denken, sie können mit finanziellen Mitteln aus Kriegsgewinnen eine egalitäre Gesellschaft aufbauen. Aber nach der Machtergreifung wird Nazideutschland zu einer Art Freizone für die „Heilige Allianz“ der Unternehmerschaft und der Nazis. Die internationalen Investitionen sprudeln. Henry Ford wird mit der höchsten NS-Auszeichnung geehrt. In der Nachkriegszeit suchen sich die SS-Kader einen Job in der Wirtschaft. Sie sind gute Verwaltungskräfte und sie sind es gewohnt sich zu vernetzen. Sie kennen sich untereinander.

 

Wie lässt sich erklären, dass die Nazis die deutsche Philosophie eines Kant so schnell auslöschen konnten?

Der Versailler Vertrag und die Gründung des Völkerrates basieren auf den Ideen von Kant, die durch Wilson übernommen wurden. Deutschland ist gedemütigt und geschwächt. Der Humanismus, die Aufklärung haben die Ideen eines Friedens durch Recht, durch Verhandlungen verbreitet. Die Liberalen sind die Komplizen von Wilson. Die Nazis lehnen ein allgemeines universalistisches Recht ab.

 

Ab wann lässt die Entschlossenheit nach?

Die Entschlossenheit wird stärker ab 1943, als Deutschland sich bedroht fühlt. Alle Deutschen wollen das Vaterland verteidigen. Die Nazis haben ihnen Angst vor der Roten Armee gemacht, indem sie in ihrer Propaganda die Massaker benutzten, die von der Roten Armee im Oktober 1944 im preußischen Nemmersdorf begangen wurden.

 

Warum haben Sie die Beweise für den Holocaust zerstört?

Die Nazis betrachten sich als die Vorhut von 80 Millionen Deutschen, als intellektuelle und moralische Elite. Aber für die Nachhut bedarf es noch mehrerer Generationen, damit der echte Germane geschaffen wird. Also muss man verbergen, was noch nicht für alle akzeptabel ist.

 

Welchen Platz nehmen die Zigeuner ein?

Die Nazis sind sich darüber untereinander nicht einig. Einige meinen, die Zigeuner müssten möglicherweise verschont werden. Für andere sind sie eine Mischung aus syrisch-arabischen und jüdischen Wurzeln und gehören somit ausgerottet. Die Politik ihnen gegenüber ist also inkohärent.

 

Gibt es keinen Widerspruch zwischen der Planung und der Ablehnung des Staates?

Tatsächlich erfolgen viele Dinge im Osten in aller Eile, wodurch sich die Nutzung bestimmter Einrichtungen, wie das RKF (1939, Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums) und das RuSHA (Rasse- und Siedlungshauptamt der SS) erklärt, die untereinander konkurrieren.

 

Wie wird die Geschichte des Mittelalters und das Bild Karls des Großen gesehen?

Karl der Große hat ein sehr schlechtes Image, da er das Christentum eingeführt hat. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation wird niedergemacht, wie auch das multinationale Reich der Habsburger und Hohenzollern. Nur das Römische Reich findet Gnade in den Augen Hitlers, bis zum Edikt von Caracalla. Am Anfang hegt Hitler eine gewisse Bewunderung für das Christentum, einer Einrichtung, die schon 2000 Jahre alt ist. „Die Pfaffen wissen, wie es geht.“ Dann verurteilt er es im Namen des Anti-Judentums. Aber er handelt pragmatisch: Katholiken und Protestanten sind nützliche Idioten, denn sie sind konservativ, antikommunistisch und antisemitisch. Er wird sich auf sie stützen. „Der Nationalsozialismus ist ein großes Sammelbecken“ für Ehrgeizige, Frustrierte, Nationalisten, Antisemiten usw.

 

(Autorinnen: Christine Blet und Arlette Pature)