Die Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften), 16. März 2015
Die Wahl von Halle als Sitz der Nationalen Akademie der Wissenschaften
Die Leopoldina gilt als die älteste in Europa noch existierende wissenschaftliche Gesellschaft. Sie wurde 1652 von vier Ärzten gegründet und blieb selbst in der DDR unabhängig. Seit dem 18. Jahrhundert strahlt sie auf ganz Europa aus.
1999 übernahm sie den Statut eines Vereins, hat jedoch Anspruch auf erhebliche öffentliche Gelder, was in Deutschland sehr selten vorkommt.
Seit 2008 ist sie als nationale Akademie anerkannt. Ihr Aufgabenbereich wurde ausgeweitet und die in verschiedenen Kommissionen arbeitenden Experten müssen dem Parlament Studien vorlegen (zur Klimaerwärmung, Energiewende, Alterung der Bevölkerung usw.). Heute zählt die Akademie 1500 Wissenschaftler aus 30 Ländern, die sich ihr freiwillig anschließen, darunter 30 französische Forscher. Sie veröffentlicht umfangreiche Publikationen.
Die Entwicklung einer Freimaurerloge und der wissenschaftlichen Gesellschaft ist eng miteinander verbunden
Im Laufe der ersten Jahrzehnte der Existenz der Akademie kommunizierten die Mitglieder per Post miteinander, und der Sitz der Akademie befand sich im Haus des Präsidenten. Der erste Präsident, J. L. Bausch, wohnte in Schweinfurt.
Im Europa des 18. Jahrhunderts waren die aufgeklärten Eliten oft auch Freimaurer. Die 1747 gegründete Hallenser Loge war sehr groß und auch reich genug, um den Jägerberg zu erwerben. Dieser künstliche Berg entstand durch den Bau der Burggräben während der Errichtung der Moritzburg im späten 15. Jahrhundert. 1820 ließ die Loge auf dem instabilen Boden des Berges ein neoklassizistisches Gebäude errichten, dessen Fundamente sehr tief waren und auf Felsgestein lagen. Damals ging es darum, einen Tempel für die Aufnahmezeremonien und die Logenversammlungen sowie für Konferenzen zu errichten. Die Loge erlebte einen derartigen großen Aufschwung im 19. Jahrhundert, dass ein Ausbau des Gebäudes notwendig wurde. Das neue Fundament wurde jedoch nicht mehr so tief angelegt, so dass die Fassade später um 1,8 Meter einsank.
1878 wurde Halle der Sitz der Gesellschaft. Als die Leopoldina das Gebäude im Jahr 2009 zurückbekam, musste sie es erst vollständig sanieren.
Das Gebäude
Den ersten Stock erreicht man über eine gewaltige Treppe. Im oberen Foyer sind die Lithographien aller Präsidenten der Gesellschaft ausgestellt. Die gemalten Porträts sind während des Zweiten Weltkriegs verschollen. Zwei große Säle befinden sich auf jeder Seite des Foyers. Einer der beiden war der Tempelsaal und wurde umgebaut. Die Loge hatte sich schon Anfang der 30er Jahre selbst aufgelöst, bevor die Nazis dies beschließen und die Kontrolle über das Gebäude übernehmen konnten. Die Nischen im großen Saal sind offen, ein neuer Kamin wurde gebaut (1937) und mit einem Flachrelief in nationalsozialistischem Stil verziert. Als die DDR-Behörden das Gebäude übernahmen, ließen sie diesen Kamin stehen, und so ist er heute noch zu sehen. Die Decke war ursprünglich blau gestrichen, um das Himmelgewölbe nachzuahmen. Wegen des schlechten Zustands der Farbe wurde in den 30er Jahren eine Kassettendecke eingezogen, die heute noch existiert. Dieser Saal dient heute dem Präsidium der Leopoldina.
Der andere große Saal ist der Festsaal für Bankette oder Bälle, zu denen auch Frauen Zutritt hatten. Nach dem Krieg wurde er als sowjetisches Offizierskasino genutzt und war damals weiß gestrichen, wobei die Decke blau blieb. Die DDR-Behörden nutzen diesen Saal für offizielle Veranstaltungen, Konzerte oder Jugendweihefeiern. Heute finden dort Tagungen statt. Die Decke ist jetzt weiß und passt zum neoklassizistischen Stil.
Konfrontation der Akademie mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus
Der 1932 gewählte Präsident, Emil Abderhalden, versuchte jüdische Wissenschaftler zu beschützen, indem er ihnen den Eintritt in die Akademie anbot. Gemäß der Satzung ist für den Ausschluss eines Mitglieds eine Abstimmung innerhalb des Senats notwendig. Als die Nazis die Verfolgung der Juden anordneten, berief der Präsident keine Senatssitzung ein, sondern strich die jüdischen Namen mit Bleistift aus dem Register, ohne jemanden darüber zu informieren. Albert Einstein, der 1932 Mitglied wurde, behielt so beispielsweise seinen Platz in der Akademie, und zahlreiche Überlebende erhielten ihren Platz nach dem Krieg auch wieder. So wie viele Deutsche praktizierten die Wissenschaftler der Akademie eine Art Akkomodierung.
Da diese Tatsachen zur Zeit der DDR ignoriert wurden, fingen entsprechende Recherchen erst nach der Wiedervereinigung an. Eine Gedenk-Stele wurde 2009 errichtet. Sie trägt die Namen von 9 Forschern trägt, darunter 8 Juden. Es geht darum, den zukünftigen Generationen diese Tatsachen zu übermitteln, damit sich so etwas nicht wiederholt.
(Autorin: Arlette Pature)